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Einmal las ich in einer Abhandlung "Jeder Emigration (nach Europa) geht eine
Binnenmigration (in der Türkei) voraus".
Selten umschreiben wenige Worte ganze
Lebensgeschichten von Menschen so treffend. Was hierzulande bei der Integra-
tionsfrage nicht bekannt ist, ist dass die Zuwanderer oft mit dem halben Dorf inner-
halb ihres Heimatlandes umgezogen sind und recht früh mit den Fragen des
  • Außenseiterseins,
  • der Ghettoisierung,
  • der Majorität / Minorität,
  • der Integration
konfrontiert wurden. Selten sind derartige Emigrationen und Immigrationen (aus
den Dörfern in die Städte) freiwillig, kaum ein Mensch verlässt seine Heimat aus freien Stücken.
Kaum ein Einheimischer empfängt diese Menschen mit offenen Armen, zumal auch kulturelle Niveau-
unterschiede fest zu stellen sind. Vermutlich wird sich ein Hamburger Deutscher und ein Istanbuler
Türke in ähnlicher Weise über diese Menschen aus dem hinteren Teil Anatoliens beklagen.

Ich wurde vor 43 Jahren im Dorf Aksu bei Giresun / Dereli am Ostschwarzmeer, 3000 Meter über dem Meeresspiegel in der Türkei geboren. www.dereli.gov und www.giresun-bld.gov

Damals lebte meine (Groß-) Familie von der Viehwirtschaft, etwas anderes gab der Boden in der Region nicht her. Sie brachten die Schafe ein mal im Jahr kurz vor Opferfest www.kandil.de nach Istanbul und verkauften sie dort. Im Jahre 1966 konnte meine Großfamilie kein Geld verdienen und es waren so gut wie keine Rücklagen für den Notfall da. Meine Eltern nahmen dieses zum Anlaß, diese Region zu verlassen, zumal keine Schulen, keine Kliniken in der Nähe waren (Arbeit gab es ohnehin nicht, zu dem sollten wir Kinder nicht als Analphabeten enden).

So siedelten meine Eltern, als ich 4 Jahre alt war, 1000 km westlich nach Gemlik am Marmarameer über. www.gemlik.net oder www.gemlikrehberi.com Hier verbrachte ich meine Kindheit und erwarb zuletzt die türkische "Mittlere Reife", Dabei hatte die ich besten Noten in den Fächern "Türkisch" "Religion", Englisch und "Geschichte" (Deutsch lernte ich erst hier).

1969 kam mein Vater als "Gastarbeiter" für eine Baufirma nach Hennef bei Bonn. Später folgte meine Mutter, dann meine 4 Geschwister, während ich in einem Internat lebte. Meinen Eltern war es ein großes Anliegen, dass mein schulischer Erfolg nicht gefährdet werden sollte.

Ab dem Jahre 1977 wurde es in der Türkei mit der Anarchie, den Schüler- und Studentenunruhen immer
schlimmer. Täglich waren bis zu 20 junge Menschen als Terroropfer zu beklagen. So beschlossen alle
Familien, die im Ausland lebten, ihre Kinder aus der Türkei heraus zu holen, weil sie Angst um ihre Le-
ben hatten.

Deutschland, aber auch andere europäischen Länder, in denen Türken lebten, traf diese Einreise der
jungen Menschen völlig unerwartet. Als ich 1978 nach Deutschland kam, kamen mit mir rund 200.000
andere junge Menschen im Rahmen der Familienzusammenführung.


Ankunft in Deutschland
oder
was hat eine Nonne mit Pädagogik zu tun?

Als ich am 03. Januar 1978 für immer nach Deutschland, nach Siegburg bei Bonn kam Siegburg,
war ich 15 Jahre alt und wusste so ungefähr, was auf mich zu kam. Denn in den letzten Jahren davor
war ich schon 2-mal in meinen Schulferien hier gewesen und konnte sogar auch noch etwas Deutsch.
So gesehen war es auch nicht so schlimm, dass mein Flugzeug nicht in Köln landete, sondern in
Frankfurt und mein Vater nicht freibekam, um mich abzuholen. Ich konnte ja was, war kommunikativ,
wusste mir ja zu helfen.


Es war leicht mit dem Zug von Frankfurt nach Bonn zu kommen. Ich hatte genug Geld bei mir und
wollte nach Siegburg die 10 km lange mit dem Taxi fahren. Mir war bewusst, dass von Bonn nach
Siegburg eine Straßenbahn fuhr, aber ich war nun seit etlichen Stunden unterwegs und der Koffer
wurde immer schwerer. Also zeigte ich dem Taxifahrer, der mich nicht verstand, am Bonner Bahnhof
die Adresse meiner Eltern in Siegburg und den 100-Markschein. Er nickte nun sehr freundlich und
fuhr los.

Nach etwa 10 Minuten bekam er über Funk eine Nachricht und versuchte mir etwas zu erklären. Ich verstand sofort, dass er mich absetzen wollte, weil er einen dringenden Auftrag bekam. Aber ich war auch Kunde, war ja nicht mein Problem, dass er mich als Gast hatte. Also tat ich so, als ob ich nichts verstehen würde. Er deutete mir die Bahnhaltestelle in Bonn - Mitte, zeigte idiotensicher mit seiner
Hand die Bahn und die Schienen nach Siegburg und deutete mir mit seinem Daumen und dem Zeige-
finger an, dass es ohnehin viel billiger wäre.

Wenn ich Heute nach 27 Jahren an diese Szene denke, muss ich immer noch lächeln; Denn beide
wussten wir genau, was der andere wollte und beide ignorierten wir genau diesen Wunsch des
Anderen und taten so, als ob wir den Anderen nicht verstehen würden. Das alles erklärten wir uns
dann auch noch mit Händen und Füßen.

Irgendwann wurde es dem Taxifahrer, der etwa 20 Jahre älter als ich war zu viel. Er stieg mit hoch-
rotem Kopf aus, ging zum Kofferraum, holte meinen Koffer raus und kam zu meiner Seite. Er riss die
Tür auf und deutete mir sehr energisch an, dass die Diskussion für ihn beendet ist und er auch kein
Geld möchte.

Ich stand an den Bahngleisen und wusste mir nicht wirklich zu helfen. Ich wusste den Fahrscheinauto-
maten nicht zu bedienen, die Nummer der S-Bahnlinie nicht, die ich nach Siegburg nehmen sollte. Also
stellte ich mich demonstrativ unbeholfen und nichtswissend vor diese Fahrpläne an der S-Bahnhalte-
stelle und hoffte darauf, dass irgendwer mich ansprach und Hilfe anbot. Mit dieser Methode kam ich
jedenfalls immer in der Türkei klar.

Mich sprach niemand an …
Also schaute ich mir die anderen Passanten genauer an. Wer könnte mir helfen? Also die Nonne,
die mich heimlich beobachtete, sicher nicht. Der sah man ja sofort an, dass sie nicht von dieser
Welt ist. "Geliebte Gottes", wie ich es in der Türkei gelernt hatte, tz tz. Wahrscheinlich brauchte
sie selber Hilfe … Ich steigerte mich immer mehr in das Unvermögen der Nonne hinein, weil ich im
Grunde zutiefst verunsichert war und nicht wusste, wie ich mit ihr umgehen konnte. Ich meine,
immerhin war sie ja von der Gattung der Kreuzzügler, die wir vor kurzem in der Schule durchge-
nommen hatten. Und was ist, wenn sie versuchte, mich zu missionieren oder so was …? Ne, also
nicht die, auf gar keinen Fall, mir sollte jemand anders helfen, sicher ist sicher.

Ich ging auf eine Frau zu, die ich um die 30 schätzte, fragte sie mit meinen wenigen Worten, ob sie
mir helfen konnte. Sie konnte nicht (und ich glaubte, sie wollte auch nicht). Ich erfuhr bei dieser
Gelegenheit außerdem, dass die Deutschen mein Schulenglisch gut verstanden, aber wenn sie dann
sprachen, dann war ich am Ende …

Langer Rede kurzer Sinn: Diese Nonne mit der gütigen Aura und wärmsten Blicken hat mich an diesen
Bahngleisen kurzfristig "adoptiert" und dafür gesorgt, dass ich — ohne schwarz fahren zu müssen —
mit meinem Koffer in Siegburg ankam. Sie sprach so gar starke Kerle an, die mir halfen, den Koffer in
die Bahn zu tragen. Nun missioniert hat sie auch nicht — Ich bin immer noch Muslim.

Diese Begegnung hat mich für mein ganzes Leben in Deutschland geprägt. Es ist zwar nicht immer
so schön und lustig, auf Vorurteile zu verzichten. Aber ich erkannte auch in den Jahren danach im-
mer wieder, dass jede Menge an Begegnungen und Dialogen nötig war, um einander zu verstehen.

Man sollte seinem gegenüber stets die Chance einräumen, sich auch von seiner gütigen Seite zu
zeigen, während man das Tempo seines persönlichen Entwicklungsprozesses respektiert. Dieser Ethik
habe ich mich stets verbunden gefühlt. Ich möchte mich auch bei einem Behördenleiter (zu dem ich
über seinen Sohn fand), einem Staatssekretär und einer mutigen Verwaltungsbeamtin bedanken, die
sich mit Nachdruck mit einer "rheinischen Lösung" für meine sozialpädagogische Ausbildung einge-
setzt haben. Nur mit deren Hilfe konnte ich den Status des ungelernten Jungarbeiters in der Fabrik verlassen.

Und Herrmann Josef Schmitz, mein alter Klassenlehrer in der Erzieherschule, bei dem ich Pädagogik
und Entwicklungspsychologie gelernt habe, hat mich im Geiste ein ganzes Berufsleben begleitet.
Ich bin froh und dankbar, bei ihm so umfassend gelernt zu haben.

Meine literarischen Wege in Deutschland

Zu der o.g. Ethik, der Aufgabenstellung, gehörte auch die Entdeckung / Begegnung mit der eigenen Literatur als ein zusätzlicher Weg des Lernprozesses. Um es mit Franz – Xaver Kroetz zu halten: "Ich schreibe um zu lernen". Ich möchte gerne noch folgendes hinzufügen: Schreiben ist für mich die Möglichkeit, im Alltag Untergegangenes herauszuholen, mitzuteilen und zu teilen.

Die logische Konsequenz war es im Grunde, dass immer wieder die migrations- und integrations-
bedingten Themen Gegenstand von Publikationen und Vorträgen / Lesungen waren. In den letzten
Jahren hat die Politik recht viel für die Integration unternommen, ob sie mir heimlich gelauscht
haben ? ;-)

Die letzten Jahre haben mir gezeigt, dass die Volkspoesie beider Gesellschaften auf einer ganz
anderen Ebene zu berühren in der Lage sind (Bänkelsang, Moritat, Türkische Wandermusiker,
deutsche Liedermacher). Ich beobachtete, dass derartige Berührungen die Menschen aus ihren
alltäglichen kulturellen und sozialen Rückzugstendenzen sehr sanft herausholen und zum weiteren
Dialog öffnen können.

Daher widme ich mich diesem Thema mit einem befreundeten Musiker ganz besonders intensiv.
Er spielt die türkischen Wandermusiker mit seiner türkischen Langhalslaute Saz ( de.wikipedia.org
und www.sazonlineshop.com) und singt, während ich die deutsche Übersetzung liefere und
geschichtliche, politische Einblicke in das Werk dieser Künstler gebe. Es handelt sich hierbei um die anatolische Antwort auf ein deutsches Phänomen der Volkspoesie, die mit ihrer Spiritualität und Volksweisheit überrascht.

Im Jahre 2006 sind in NRW in verschiedenen Städten Auftritte geplant, bitte schauen Sie in unregelmäßigen Abständen hier nach.

Gegenwärtig versuche ich mein erstes Lyrikband "Orta — die Mitte" heraus zu geben. Es handelt
sich um eine Zusammenstellung von 100 Texten in (vorwiegend) deutscher Sprache, die ich mit
meinem lieben Mentor und Steinlehrer Lothar Schmitz aus Leverkusen aus 450 bestehenden
Gedichten zusammengetragen habe.


Meine kulinarischen Wege in Deutschland

Als ich mit 18 Jahren von zu Hause ausgezogen bin, konnte ich nur Spiegeleier braten. Ich dachte
mir, dass ich schon irgendwie satt werde. Meine Mutter hatte mich und meinen Bruder für die
Küchenarbeiten nie vorgesehen. Da waren entweder sie oder unsere drei Schwestern, d.h. wir
beide konnten nicht kochen.

Als ich in meiner neuen Wohnung eines Tages Lust auf weiße Bohnensuppe in Tomatensoße hatte
(Nationalgericht — nicht nur in der Türkei), ließ ich mir von meinen Schwestern erklären, wie man
das macht: Ich legte also die Bohnen über Nacht ins Wasser, ließ sie einweichen und kochte sie
am nächsten Tag auf. Stunden später waren die Bohnen immer noch nicht gar. Die unteren waren
weich wie ein Schwamm, die oberen hart wie Stein. Völlig entnervt kippte ich die Suppe weg und
beklagte mich über diese Frustration bei meiner Brieffreundin in der Türkei. Und sie schickte mir ein
Kochbuch …

Na ja, dann entdeckte ich, dass man mit Kräutern wie ein Maler viele wunderbare kulinarische Kom-
positionen gestalten kann. Tja, und Jahre später begegnete ich meiner Frau, die mit großer Lust ge-
gessen und Gäste eingeladen hat (sie ist übrigens nicht dick, ißt vielseitig-reichhaltig, aber nicht
viel).

Im Laufe der Jahre haben sich die Kochbücher vermehrt, die Erfahrungen auch. Und ich finde jedes
Land hat total interessante "kulinarische Standpunkte" — man sollte lediglich offen dafür sein.
In der türkischen Küche liebe ich vor allem Vorspeisen, Grillspezialitäten (auch gegrilltes Gemüse) und
die oft schlichte, aber wirksame Regionalküche.
Erlebniskochen